Philip Wüthrich (25) hat den Test nicht bestanden: Zwei Jahre lang war er die konkurrenzlose Nummer eins in Bern. 2021/22 kam er in 37 Partien zum Zuge (Fangquote 92,06 %) und die Playoffs sind verpasst worden. Diese Saison bestritt er gar 43 Spiele (Fangquote 91,16 %) und zeigte im Playoff-Viertelfinal gegen Biel (Fangquote 88,46 Prozent) nicht sein bestes Hockey.
Philip Wüthrich hat nicht versagt. Aber er hat den Test nicht bestanden, dem jeder SCB-Goalie unterzogen wird: der Vergleich mit den meisterlichen Titanen der Vergangenheit. Er hat noch nicht die Kragenweite der grossen Goalies, die seit mehr als 60 Jahren die ruhmreiche SCB-Geschichte geschrieben haben. Er ist noch nicht der nächste René Kiener, Jürg Jäggi, Renato Tosio, Marco Bührer oder Leonardo Genoni.
Er hat seine Arbeit ordentlich gemacht. Eigentlich konnten die Berner nie sagen, man habe ein Spiel wegen Philip Wüthrich verloren. Aber sie konnten nicht oft genug sagen, man habe dank Philip Wüthrich gewonnen. Aber darauf kommt es an.
Kurzum: Sportchef Andrew Ebbett und sein Berater Mark Streit haben entschieden, die nächste Saison mit einem ausländischen Torhüter zu bestreiten. Weil nur so eine Rückkehr zur sportlichen Konkurrenzfähigkeit möglich ist. Bern ist damit nach Kloten, Biel, den ZSC Lions, Ambri und Lugano der sechste Klub, der nächste Saison eine Ausländerlizenz für den Goalie löst.
Wird Philip Wüthrich, einem eigenen Junior, das Vertrauen entzogen? Nein. Auf den ersten Blick mag es so scheinen. Aber Philip Wüthrich spielt in den SCB-Planspielen weiterhin eine zentrale Rolle. Einer, dessen Wort beim SCB intern zählt, sagt es so: «Fippu bruucht ä Tschällänsch.» Philip Wüthrich brauche eine Herausforderung. Nicht einen freundlichen Mentor wie Daniel Manzato, die bisherige Nummer zwei. Sondern einen Weltklassegoalie, der ihn herausfordert. Gegen den er sich durchsetzen muss. Der ihn aus der Komfortzone herausholt.
Entweder nimmt er diese neue Herausforderung an und wird einer wie Leonardo Genoni. Oder er zerbricht an dieser neuen Ausgangslage und macht nach Ablauf seines Vertrages in Bern im Frühjahr 2025 eine schöne Karriere zwischen Olten, Visp und Sierre oder Ajoie, Ambri und Langnau.
Philip Wüthrich ist in gewisser Weise ein Opfer der vom gefeuerten Manager Raeto Raffainer aufgebauten «Wohlfühloase», in der eine gute Ausrede wertvoller war als ein gewonnenes Spiel. Aber der «Artenschutz» von oben ist nicht bis in die Kabine durchgedrungen: Philip Wüthrich genoss letzte Saison nicht mehr das bedingungslose Vertrauen aller Spieler. Was auch ein wenig mit seiner Art zu tun hat: Er ist ruhig und gelassen («cool»). So wie grosse Goalies sein müssen. Fälschlicherweise wird seine sanfte Art da und dort als fehlendes Engagement ausgelegt.
Nun kommt ein ausländischer Goalie. Verpflichtet ist er noch nicht. Die Dossiers werden in diesen Tagen gesichtet. Gute Kandidaten sind darunter und am Geld wird die Anstellung eines grossen Namens – möglicherweise aus Finnland – nicht scheitern. Diese neue Situation ist die ultimative Herausforderung für Philip Wüthrich. Und die ganz grosse Chance, um im Alter von 25 Jahren endlich den Schritt vom guten zum grossen Torhüter zu machen.
Noch während der «Wohlfühlzeit» unter Raeto Raffainer ist der Vertrag von Daniel Manzato um ein Jahr bis zum Ende der nächsten Saison verlängert worden. Als Nummer zwei hat Servettes Finalheld von 2021 in Bern künftig keinen Platz mehr. Kein Problem: Entweder bleibt er als Goaliecoach oder er wechselt zu einem ambitionierten Klub in der Swiss League. Visp hat sich bereits erkundigt. Dort ist der neue Trainer Heinz Ehlers in grosser Sorge. Weil eine taugliche Nummer 1 fehlt.
Daniel Manzato ist zwar im Januar schon 39 geworden. Aber er hat noch bei weitem genug Diesel für eine weitere gute Saison im Tank. Er muss ja nicht mehr alle Spiele bestreiten. Benötigt wird sein bestes Hockey in den Playoffs.
Die Grännis wegen den 6 Ausländern - es ist nun einmal so und akzeptiert es einfach - Konkurrenz belebt der Markt in der geschützten Werkstatt in CH-Eishockey.